Macabros Nr. 39: Im Verlies der Hexendrachen

Macabros Nr. 39: Im Verlies der Hexendrachen


Als der Fremde zum drittenmal in dieser Woche in das kleine Gasthaus kam, freute sich der Wirt. Nun war der Mann ihm nicht mehr unbekannt. Das Gesicht mit den hellen, fast durchsichtigen Augen und der geraden, aristokratischen Nase war ihm schon vertraut. Der Besucher, der in das abgelegene und um diese frühe Stunde von keinem Menschen sonst besuchte Gasthaus kam, nahm den Platz an der Außenwand wieder ein, wo zwei kleine Fenster den Blick zur, Steilküste ermöglichten. "Guten Morgen, Monsieur", sagte der untersetzte Wirt fröhlich. Das gleiche" Von den beiden vorhergegangenen Tagen. wußte er, daß der Fremde ein Petit Dejeuner wünschte. Der Mann nickte, klopfte sich eine Zigarette aus einer frischen Packung und blickte versonnen durch das Fenster hinüber zur Küste, wo eine düstere Ruine in den morgendlich blauen Himmel ragte.


von Dan Shocker, erschienen am 27.07.1976, Titelbildzeichner: ???

Rezension von GoMar:


Kurzbeschreibung:
Harry Frandon will ein Buch mit von ihm gezeichneten Spukschlössern und -burgen herausgeben. Deshalb kommt er auch an die spanisch-französische Grenze, um das Schloß des Comte de Noir zu zeichnen. Obwohl ihn der Wirt eines Gasthauses genau gegenüber des finsteren Schlosses davor warnt, es zu betreten, macht er es dennoch, da er eine wunderschöne nackte Frau im Schloßgarten sonnenbaden sieht. Diese Frau ist niemand anderes als Danielle de Barteauliée, die Tochter des Comte de Noir. Sie sieht aus wie 18, ist aber bereits über 500 Jahre alt. Ihr Vater hat Rha-Ta-N'my die ewige Jugend für seine Tochter abgeluchst, dafür zwar mit seinem Tod bezahlt, aber Danielle kann diese ewige Jugend von den Dämonen nicht mehr genommen werden. Sie wird aber dazu verdammt, als Geist auf der Erde zu leben und als Mensch in einer jenseitigen Welt, in der die Hexendrachen existieren. Auf der Erde ist sie eine Vampirin, die jeden, der ihrem Anblick verfällt, töten muß. Auch Frandon verfällt ihr, aber sie schickt ihn wieder zurück ins Leben, damit er ein zweites Mal zu ihr kommt, denn dann kann der Bann gebrochen werden, und sie kann endlich die Erde verlassen und bei den Hexendrachen als deren Königin leben, nach denen sie sich inzwischen sehnt. Und Harry Frandon steigt ein zweites Mal auf das finstere Kap, vor Sehnsucht nach Danielle entflammt, nicht ahnend, daß Danielle ihn dazu benutzt, als Opfer ihr den Weg zu den Hexendrachen zu ebnen.
Für Björn Hellmark ist die Zeit ohne sein Luxusleben mit Bungalow in Genf, Sportwagen, Flugzeug, Segelyacht etc. angebrochen. Er hat nur noch Marlos als sein Refugium, und ist dort ziemlich abgeschnitten von der Welt. So entschließt er sich, nach Tschinandoah aufzubrechen, um eine Möglichkeit zu finden, hinter ein Geheimnis Molochos' zu kommen, das dessen Untergang beschleunigen könnte. Björn weiß, daß dies eine Reise ohne Wiederkehr werden kann, wenn es ihm nicht gelingt, Tschinandoah zu erreichen, von dem nicht einmal Al Nafuur sagen kann, wo es liegt. Er geht allein durch den Spiegel der Kiuna Macgullyghosh - und landet auf der Welt der Hexendrachen, wo er sogleich auf ein Schlachtfeld stößt mit einem einzigen Überlebenden, einem Gaafhs namens Ogh. Die übrigen Gaafhs wurden von den Tzschizz, den Hexendrachen, getötet oder gefangengenommen. Die Gefangenen landen in den Verliesen und warten auf ihren Kampf in der Arena, der in der Nacht der Hexendrachen stattfinden soll. Björn und Ogh werden ebenfalls gefangen, denn die Tzschizz setzen Magie ein, um ihre Opfer zu lähmen.
Als die Nacht der Hexendrachen beginnt, kann Björn beobachten, daß alle Gaafhs durch das Essen betäubt und danach in die Arena geschleppt werden, um schließlich in einem beispiellos grausamen Ritual abgeschlachtet zu werden. Die Getöteten dienen als Nahrung für die Drachenzuschauer. Björn gelingt es aber, einen Drachen zu überwältigen, der sich als Dämon entpuppt. Mit diesem als Faustpfand will er sich an Tuur, den Herrscher, heranmachen, um ihre Freiheit zu erzwingen. Er tötet im Laufe dieses Vorhabens sechs von sieben Dämonen, als diese ihn angreifen. Doch da greift Rha-Ta-N'my ein, erscheint in der Arena und zerstört diese halb. Auch Danielle de Barteauliée befindet sich dort, aber mit ihr hat die Dämonengöttin noch etwas Spezielles vor.
Nun kommen aus dem Meer Unmengen von großen Raupen, die alles fressen, was organisch ist. Da begreift Björn, daß diese Wesen ähnlich wie irdische Maikäfer funktionieren: Die Raupen fressen die getöteten Gaafhs und die zu langsamen Tzschizz, die fliehenden Tzschizz werden zu Gaafhs, fliehen in die Wälder, wo sie leben bis zu ihrer Gefangennahme, unterdessen ihre besamten Eier den Flüssen übergeben, diese Flüsse wiederum schwemmen die Eier ins Meer, wo sich die Eier schließlich verpuppen und später als Raupen wieder herauskommen - und alles beginnt von vorne ...
Björn Hellmark gelingt es mit Ogh und der Hexe Danielle den Raupen zu entkommen und in den Wäldern zu verschwinden. Björn ahnt nicht, daß Danielle de Barteauliée den Auftrag von Rha-Ta-N'my bekommen hat, als Gegenleistung dafür, daß sie kein Opfer der Raupen wurde, Björn Hellmark zu töten, um danach ein "normales" Leben als Hexe führen zu dürfen. Danielle willigte ein und wartet nun auf ihre Chance ...
Ohne daß Björn etwas davon weiß - und gegen seine ausdrückliche Anordnung -, folgt Rani Mahay seinem Freund heimlich nach, um ihm beizustehen bei seinem gefahrvollen Weg nach Tschinandoah. Rani weiß aber nicht, daß dieser Weg ein Weg ohne Wiederkehr ist, denn durch den Spiegel der Kiuna Macgullyghosh gibt es keine Rückkehrmöglichkeit ...


Meinung:
Das ist er - der Beginn des bisher längsten Zyklus' von Dan Shocker, der bis zur Nr. 48: "Die Parasitengruft" andauern wird, nur unterbrochen durch ein Mirakel-Abenteuer als Nummer 44. Und dazu noch die Rani Mahay-Trilogie der Nummern 51, 52 und 53 um Tamuur und Skelettus. Und ich muß sagen, er beginnt fulminant! Dan Shocker hat hier einen sehr spannenden Roman abgeliefert, der mit einer Unmenge an überraschenden Wendungen daherkommt, und der zweifellos seinen Höhepunkt in der Metamorphose der Raupen zu Tzschizz, der Tzschizz zu Gaafhs findet. Das ist wirklich allererste Sahne. Ich weiß nicht, ob es einen Heftromanautor gab oder gibt, der so einen abwechslungsreichen Roman zustande brachte oder zustande bringt. Dan Shocker hat sich mit diesem Roman meiner Meinung nach eigentlich selbst ein Denkmal gesetzt: er ist (leider: war!) ein echter Könner, ein Magier der Texte, des Erfindens von Landschaften, fremden Welten, fremden Völkern und deren Gepflogenheiten. Hier streift er meiner Meinung nach bereits beispielsweise an einen Tolkien an, wenn es auch viele geben mag, die nun der Meinung sind, das grenze beinahe an "Blasphemie". Wer mir nicht glaubt, der lese diesen Roman einmal wirklich aufmerksam von A - Z durch, ohne ihn nur zu überfliegen, weil es ja nur ein "Schundroman" ist und keine große Literatur. Mitnichten! Gegenüber diesem Heftroman kann ich mit Fug und Recht behaupten, daß es viele Bücher gibt, die mehr "Schund" sind als dieser Roman.
Warum? Zum einen ist es wieder einmal Dan Shockers besondere Gabe, Nebenfiguren vorzüglich aufzubauen, ihre Ängste, Nöte, Freuden usw. dem Leser nahezubringen - natürlich alles im Rahmen eines Heftromans von ca. 60 Seiten. Da hätten auch große Autoren mit Sicherheit einige Probleme, ihre Figuren "lebensecht" zu gestalten. Dan Shocker konnte es! Wenn auch seine Hauptfiguren immer stereotyp wirken: groß, blond, gutaussehend usw., so muß ich aber auch einmal sagen, daß mir persönlich ein "Grandscherben" (österreichisch für übellauniger Mensch etc.) wie Dorian Hunter oftmals ebenfalls ordentlich auf die Nerven ging, denn manchmal waren die Dämonen, die er bekämpfte, lustiger und freundlicher als er selbst! Da ist mir persönlich ein Björn Hellmark, der Spaß am Leben hat, doch allemal lieber, denn was bietet einem Leser ein ewig übellauniger Mensch wie Dorian Hunter für Alternativen, außer alles im Leben nur negativ zu sehen?! Und ein guter, ehrlicher Charakter wie Björn ihn aufweist: wünschen wir uns das nicht gerade heutzutage mehr als vieles andere auf der Welt, wenn man einen Blick auf die aktuelle Politik, Finanzwesen, Managergebarung usw. wirft? Doch das nur am Rande!
Auch die Figur der Danielle de Barteauliée ist ihm hervorragend gelungen; ihre Charakterisierung, die eigentlich zwischen Böse und Gut schwankt, ihre innere Zerrissenheit, ob sie Rha-Ta-N'my dienen soll oder nicht - sehr gut dargestellt. Das Böse, das sie verbreitet, hat immer einen Silberstreifen am Horizont, ist nicht einfach nur "böse", obwohl sie ihre Opfer ebenfalls beißt und ihr Blut trinkt und sie tötet. Danielle wirkt trotzdem anders als die meisten der sonst beschriebenen Hexen; sie ist eine Vorläuferin der heute üblichen Protagonisten, bei denen die Psyche eine immer größere Rolle spielt.
Zum anderen ist der Roman exzellent gegliedert, so daß die einzelnen Handlungsstränge niemals Langeweile aufkommen lassen, sondern stetig ansteigend die Spannung nach oben treiben bis zum fulminanten Showdown in der Arena der Hexendrachen, der seinesgleichen sucht. Wenn es auch hier und da kleine Unstimmigkeiten gibt, denn Dan Shocker vergißt zum Beispiel, daß die Tzschizz Björn alle Kleider abnahmen und somit auch die Dämonenmaske, die in der Hosentasche steckte. Als sie schließlich die Arena verlassen, geht er ohne seine Kleider davon - und die Raupen müssen dann eigentlich die Dämonenmaske samt Kleidung gefressen haben, da diese in den Verliesen der Hexendrachen zurückblieben und die Raupen sich alles Organische einverleibten. Aber das kann einem Dan Shocker schon einmal in der Hektik der Schlußkapitel passieren; ein echter Fan sieht da einfach mal drüber hinweg (wenn es D. S. auch nicht unbedingt passieren hätte dürfen)!
Fazit: Ein großartig geschriebener Roman, der es verdient, aus dem Schattendasein der nicht so beachteten Romane herauszukommen. Wer ihn nicht bereits in seiner Sammlung hat, dem kann ich hiermit sagen, daß der Blitz-Verlag im Herbst 2010 diesen Roman unter anderen ins Programm aufnimmt, so daß niemand sagen kann, er hat keine Möglichkeit mehr, ihn zu lesen. Vielleicht ist dann auch die Sache mit der Dämonenmaske behoben, obwohl er dann nicht mehr ganz authentisch wäre, aber diese kleine Änderung sollte kein Problem darstellen. Mein Tipp: den Roman unbedingt langsam und genau lesen, dann spürt man garantiert die ganze Dramatik und Tragik der Protagonisten, beispielsweise auch die des Gastwirtes und des blinden Buchautors, den Harry Frandon ebenfalls aufsucht ...


Besonderheiten:
1. Danielle de Barteauliée, die Tochter des Comte de Noir, hat ihren ersten Auftritt.
2. Björn Hellmark macht sich auf den gefahrvollen Weg nach dem legendären Tschinandoah.
3. Harry Frandon begegnet einer überaus begehrenswerten Frau, die für ihn den Tod bedeutet.
4. Jacques Dupont, der Wirt, sucht im Schloß des Comte de Noir nach seinem verschollenen Sohn.


5 von 5 möglichen Kreuzen:
5 Kreuze


Kommentare zum Cover:

Das einzige Cover, das oben beim Schriftzug einen gelborangen Rand mit weißem Streifen zum Bild aufweist. Dadurch wirkt das Titelbild anders als alle anderen, meiner Meinung nach gedrückter. Die Figur des schwertschwingenden Kämpfers stellt Björn so dar, wie er im Roman beschrieben wird. Die beiden Drachen sind ebenfalls so oder so ähnlich beschrieben. Einzig die Szene selbst ist nicht ganz so abgelaufen, außer es wäre hier die Sequenz dargestellt, als Björn die Dämonen-Tzschizz erledigt. An sich ein actiongeladenes Cover, aber ich glaube, der obere Streifen beim Macabros-Namenszug stört das Ganze erheblich. Deshalb gibt es 2 Kreuze weniger; das Bild selbst würde von mir 4 Kreuze erhalten.


Coverbewertung:
3 Kreuze

Zusatzhinweise zu dem Cover kommen von Michael Schick:
Das Titelbild des Macabros Romans wurde auch schon auf dem Cover des spanischen Comic-Magazins FANTOM Nr. 8 verwendet:

Fantom


Ein ganz ähnlicher Schwertkämpfer war außerdem auch auf einem weiteren spanischen Comic zu sehen. Zwar hatte dieser eine andere Haarfarbe, aber seine Statur, seine Körperhaltung und vor allem auch seine spärliche Kleidung weisen doch zahlreiche Gemeinsamkeiten auf:

Conan