Professor Zamorra Nr. 112: Das Hexendorf
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Einmal im Monat, bei Vollmond, stiegen die Frauen von Czerkössy auf
die Schloßruine hinauf. Dann feierten sie auf dem Schloßplatz
den alten Ritus, tanzten ekstatisch und riefen ihre Herrin und Schutzpatronin
an - Jadwiga Vaszary, die blutige Gräfin. So war es auch in dieser Nacht.
Die Sterne glänzten am Himmel, ein milder Wind wehte und brachte den
Geruch des Waldes in die alten Mauern. Mitten auf dem Platz brannte ein
großes Feuer. Sechzig Frauen umtanzten es. Ihre Gesichter waren
gerötet, die Haare flogen Geschrei und Gekreische gelten. Alte Vetteln
hatten sich bei blutjungen Mädchen untergehakt, dicke Frauen und
dünne, hübsche und häßliche, Weiber aus allen Schichten
der Bevölkerung nahmen am Sabbat teil. Sie alle hatten eines gemeinsam:
sie beschäftigten sich mit Hexerei. Und verehrten den Teufel. "Brenne,
brenne, Hexenfeuer"! sangen die Weiber. "Höllenglut und Ungeheuer, schwarzer
Sabbat, Teufelsnacht! Tanz den Reigen, tanz den Reigen, Teufel, Satan, gibt
uns Kraft! Ernte, Wetter, Liebe, Haß, schenk uns dein Zaubermaß!
Uns Hexen, uns Hexen, uns Hexen!"
von Walter Appel, erschienen am 03.10.1978, Titelbild: Vicente Ballestar
Rezension von
Egon der
Pfirsich:
Kurzbeschreibung:
In der rumänischen Ortschaft Czerkössy treibt ein Hexenzirkel
sein Unwesen, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Rückkehr der "blutigen
Gräfin" Jadwiga Vaszary, einer einstigen Gefährtin des Grafen Dracula,
zu betreiben. Tatsächlich erscheint diese bei einer nächtlichen
Zusammenkunft, jedoch nur als Geistergestalt, die zu ihrer dauerhaften
körperlichen Manifestation einen "Wirtskörper" benötigt, den
Körper einer lebenden Nachfahrin. Die für diesen Zweck
Auserwählte ist niemand anderes als Nicole Duval, die Lebensgefährtin
des Professor Zamorra. Jadwiga Vaszary gelingt es, durch einen magischen
Bannspruch Nicole Duval von Schloss Montagne fortzuholen und nach Rumänien
zu locken. Dort will sie sich im Rahmen eines Hexensabbats, zu dem sich auch
Satan persönlich ein Stelldichein geben will, des Körpers von Nicole
bemächtigen. Zamorra, den das Verschwinden seiner Herzensdame zum Handeln
zwingt, findet durch eine Dämonenbeschwörung den Aufenthaltsort
Nicoles heraus. Zusammen mit seinem Freund Bill Fleming macht er sich auf
den Weg nach Czerkössy. Auf der Fahrt lernen die beiden den Landstreicher
Frantisek Gabö kennen, ein Original "mit Herz und Schnauze", der sich
bereit erklärt, bei der Befreiung Nicoles mitzuwirken. In einem furiosen
Showdown gelingt es dem Trio, die "blutige Gräfin" endgültig zu
vernichten und Nicole Duval zu befreien.
Meinung:
Innerhalb der Zamorra-Serie ist dieser Roman von Walter Appel (alias
Earl Warren) an einer wahrlich exponierten Position erschienen, nämlich
als Nr. 112 genau zwischen den beiden ersten Beiträgen des späteren
Haupt- und langjährigen Alleinautors Werner Kurt Giesa. Davon ahnte
zum Zeitpunkt des Erscheinens natürlich noch niemand etwas. Gleichzeitig
handelt es sich um Walter Appels unmittelbar auf den Roman
Nr. 106 "Der Komet aus der Hölle"
folgenden Beitrag für die Serie.
Da ich Band 106 kürzlich bewertet
habe, bietet es sich an, diesen als Vergleichsobjekt heranzuziehen, zumal
der vorliegende Band 112 in mancherlei Hinsicht auf seinen Vorgänger
Bezug nimmt. Von einer "Fortsetzung" darf man nicht reden, denn thematisch
und inhaltlich gibt es bei beiden Romanen keinerlei Zusammenhänge, jedoch
spielen beide Romane in Ländern des ehemaligen "Warschauer Pakts" (also
salopp gesagt: hinter dem damaligen "eisernen Vorhang"), und in Band 112
wird insofern Bezug auf Band 106
genommen, weil Zamorra aufgrund seines erfolgreichen Kampfes gegen den
Höllenkometen zwischenzeitlich ein gern gesehener, mit reichlichen
Reisedokumenten ausgestatteter Gast in den ehemaligen Ostblock-Ländern
geworden ist.
Diese Dokumente helfen Zamorra (und dem Autoren, der es sich mit dieser
Erklärung natürlich einfach machen konnte) im vorliegenden Roman
ungemein, denn während in Band 106 die Einladung eines ehemaligen
Studienkollegen, der zum Parteibonzen aufgestiegen ist, als Begründung
für seinen Aufenthalt in der Sowjetunion diente, sind es nun eben diese
Visa, die ihm sämtliche Hürden auf dem Weg in das damalige Ostblockland
Rumänien aus dem Weg räumen.
Was mir in Band 106 besonders gut
gefallen hatte, waren zum einen die Vergangenheitspassagen, zum anderen das
furiose Finale, in dem Zamorra sich selbst in einen Kometen verwandeln musste.
Ganz so fantastisch geht es im vorliegenden Roman leider nicht zu. Die Handlung
spielt durchgehend in der "Gegenwart", und auf Fantasy-Elemente hat Walter
Appel diesmal verzichtet. Am "fantastischsten" erscheint noch der Dämon
"Buer", den Zamorra beschwört, um Informationen über das Verschwinden
seiner Freundin zu erlangen, und der daraufhin für etwas Trouble in
Schloss Montagne sorgt. Ansonsten wird die Spannung ausschließlich
durch Action-Szenen gehalten, zum Beispiel den Auftritten des Höllenhundes
"Zsoltan", den Zamorra in einem gefährlichen Kampf beseitigen muss.
Auch das Finale, in dem Zamorra und seine Helfer die endgültige
Rückkehr der "blutigen Gräfin" verhindern können, bietet Action
satt, zumal sich bei dieser Gelegenheit ja sogar "Satan"
höchstpersönlich eingefunden hat.
Eine interessante Figur ist der Landstreicher und Schnorrer Frantisek Gabö,
den Zamorra und Bill Fleming auf ihrer Fahrt nach Czerkössy auflesen.
Dieser Landstreicher legt großen Wert darauf, dass er ein
"Siebenbürger Sachse" ist, und so sächselt er sich in den Passagen,
in denen er sich mit Zamorra und Bill Fleming in deutscher Sprache
unterhält, ungeniert durch den Roman, mit losem Mundwerk und dummen
Sprüchen. Hier drängt sich unweigerlich die Vermutung auf, dass
Herr Appel sich sehr stark von Karl May beeinflussen ließ, denn der
Landstreicher erinnert stark an eine Figur aus Mays bekannten, im Wilden
Westen spielenden Jugendromanen wie "Der Schatz im Silbersee", "Der Sohn
des Bärenjägers" oder "Der Ölprinz", nämlich an "Heliogabalus
Morpheus Franke" , wegen seines Hinkens der "Hobble-Frank" genannt; ebenfalls
eine sächselnde Plaudertasche, deren Mundwerk niemals stillzustehen
scheint. Wer die besagten Jugendromane Mays in den Originalfassungen der
"historisch-kritischen Textausgabe" gelesen hat, wird vermutlich gut verstehen,
warum nach Mays Tod der nach ihm benannte "Karl-May-Verlag" in seinen
Bearbeitungen die Worttiraden des Hobble-Frank deutlich zusammengekürzt
hat, allen anderen sei gesagt, dass es im Original noch viel schlimmer ist
als in den heutigen Textfassungen der "grünen Bände" -:) Nun, der
Heftroman "Das Hexendorf" ist schon vom Umfang her nicht mit den Karl-May-Romanen
vergleichbar, aus diesem Grund treibt es Herr Gabö nicht annähernd
so arg wie sein großes Vorbild "Hobble-Frank", daher halte ich diese
zweifellos humoristischen Einlagen für ausgesprochen erheiternd und
gelungen.
Insgesamt ist der Roman wesentlich konventioneller gestrickt als
Band 106. Er bietet nichts wirklich
Außergewöhnliches. Alles ist sehr gradlinig erzählt und bezieht
seine Spannungsmomente weder durch geheimnisvolle Rätsel noch durch
eine unheimliche Atmosphäre, sondern nur durch Action. Die humorvolle
Figur "Frantisek Gabö" wertet den Roman jedoch etwas auf. Deshalb gebe
ich 3 Kreuze.
3 von 5 möglichen Kreuzen:

Kommentare zum Cover:
Das Bild ist, auch wenn dies nicht durch eine irgendwo sichtbare Signatur
oder eine Namensangabe im Heft verifiziert werden kann, stilistisch wohl
ohne Zweifel dem bekannten Zeichner Vicente Ballestar zuzuordnen. Insgesamt
bildet es die Atmosphäre des nächtlichen Hexensabbats, bei dem
attraktive Hexen exstatisch um einen bockshörnigen Satan herumtanzen,
sehr gut ab.
Coverbewertung: