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Dieses Band ist ein Nachdruck der zwei Romanhefte:
Professor Zamorra Nr. 56: Die Teufelshöhle
(Romanheft)
Rawisa spürte, wie die Dornen sich durch das dünne, bunte Gewand
bissen. Sie fühlte im Laufen die kleinen Rinnsale von Blut, die von
ihren Knien und Waden an ihren Beinen hinabliefen. Sie spürte es und
kümmerte sich nicht darum. Sie wußte nur zu gut, was sie erwartete,
wenn sie in die Hände der Gelben Furien fiel. Man würde sie zum
Tempeltanz zwingen. Und der Große Shuri machte sich eine verderbliche
Freude daraus, sich die jungen Tamilenmädchen zu Willen zu machen. Nein,
sie mußte diesen Bestien entkommen, die sich äußerlich als
Gelbe Mönche gaben und in Wirklichkeit nur Handlanger eines schmutzigen
Tempelgeschäftes waren, bei dem Rache und Grauen herrschten. Nur nicht
in die Gewalt des Großen Shuris geraten! Nicht in die Gewalt dieses
grauenvollen Geistes einer vergangenen Zeit, da die Könige der Tamilen
und der Singhalesen um die Herrschaft der grünen Insel stritten. Rawisa
lief und lief. Ihre Füße schmerzten. In ihrem Kopf pochte das
Blut und drohte ihre Adern zu sprengen. Und fast körperlich spürte
sie den Atem der hetzenden Furien hinter sich. Sie wußte, daß
man ihr den Weg abschneiden würde. Sie mußte versuchen, von diesem
Waldweg auf den Pfad zu gelangen, der zurück auf die Straße
führte. Dort könnte sie um Hilfe rufen, würde Menschen finden,
die sie beschützten. Aber hier, auf den schmalen Trampelpfaden zwischen
Dickicht und Bäumen, zwischen den gefährlichen Lianenpflanzen und
dornigen Büschen, hier in der Mitte des Regenwaldes, war sie auf sich
allein gestellt. Sie versuchte, sich selber anzuspornen. Lauf, Rawisa, sagte
sie zu sich. Du mußt den Furien entkommen! Nimm deinen ganzen Mut zusammen!
Du willst nicht in ihre Gewalt kommen, wie die vielen anderen Mädchen
vor dir!
Professor Zamorra Nr. 57: Der Höllenschlund
(Romanheft)
Der kahle, kleine Raum wurde von zwei Kerzen nur spärlich erhellt.
Geisterhaft zuckten die beiden Flämmchen hin und her, schienen sich
in einem bestimmten Rhythmus zu wiegen. An einem wurmstichigen Holztisch
saß ein Mann. Das schlohweiße Haar hing ihm wirr in die Stirn,
die mit winzigen Schweißtröpfchen bedeckt war. Der Mann war alt.
In seinem faltigen, runzeligen Gesicht zuckte es. Immer wieder murmelte er
einen Namen! "Ethel! Ethel!" Es war der Name seiner verstorbenen Frau. Dar
Alte war in tiefer Trance. "Ethel, Ethel, hörst du mich? Gib mir ein
Zeichen, daß du da bist!" brüllte er plötzlich wie von Sinnen.
Ein Zucken durchlief den mageren Körper. Der Mann wurde von einem gewaltigen
Schüttelfrost gepackt. "Charles?" stöhnte er dann gequält
auf. Wo bist du, mein Sohn?" Jäh begann es im Haus zu rumoren. Wie von
unsichtbaren Händen wurden Möbel verrückt, Bilder stürzten
von den Wänden, Geschirr zersprang. Doch von all dem schien der Greis
nichts zu bemerken. "Ethel, Charles!" raunte er nun ganz leise. Seine Finger
hielten einen dicken Filzstift fest umklammert, während er mit den
spindeldürren Fingerkuppen seiner anderen Hand ein faltiges, unbeschriebenes
Blatt Papier festhielt. "Ethel, gib mir eine Botschaft! Ethel, ich
beschwöre dich!" Er preßte mit aller Kraft den Filzstift auf den
Papierbogen. Plötzlich war es ihm, als ob seine Hand von einer eiskalten
Klaue umklammert würde und sie stockend über das Papier zog. Der
Filzstift hielt in knallroten Lettern die Botschaft aus dem Jenseits fest:
Grab mich aus! Der Alte fiel in eine tiefe Ohnmacht.