Professor Zamorra Nr. 145: Turm der toten Seelen
Sie war eine Hexe. Viele Jahre lang quälte sie die verzweifelten
Dorfbewohner. Als sie eines Tages ihren eigenen Mann, den alten
Leuchtturmwärter, tötete, war für die Leute im Dorf das Maß
voll. Einige wenige beherzte Männer zogen aus, um Hannah Salem zum Teufel
zu schicken. Sie konnten nicht ahnen, daß sie damit alles nur noch
schlimmer machten...
von Friedrich Tenkrat, erschienen am 18.12.1979, Titelbild: Vicente
Segrelles
Rezension von
Olsen:
Kurzbeschreibung:
Hannah Salem ist eine Hexe, die die Bewohner des nahegelegenen Dorfes
tyrannisiert. Deshalb machen die kurzen Prozess, stecken Hannah Salem in
ein Fass, in das sie Silbernägel eingeschlagen haben, und rollen sie
einen Berg hinunter (und sind danach ernsthaft der Meinung, die Hexe wäre
besiegt). Jahre später kauft ein Parapsychologe namens Roy Kupa trotz
diverser Warnungen den Leuchtturm, in dem die Hexe ihr Unwesen getrieben
hat. Zur Einweihung lädt er einige alte Studienkollegen ein, darunter
Professor Zamorra, einen Leichenbestatter, einen Filmproduzenten und diverse
andere schillernde Persönlichkeiten. Tja, und wie wir alle aus Erfahrung
wissen, führt es selten zu etwas Gutem, wenn verschiedene Menschen in
einem Spukhaus, Spukschloss oder gar Spukleuchtturm arglos ein paar Nächte
verbringen wollen. Und so kommt es, wie es kommen muss: Anfangs setzt die
Hexe den Besuchern mit Halluzinationen und Visionen zu. Als ihr das aber
zu fad wird, beginnt sie, das Zehn-Kleine-Negerlein-Prinzip bei den Gästen
des Leuchtturms anzuwenden.
Nachdem bereits der Verlust einiger Menschenleben zu beklagen ist, zeigt
Roy Krupa seinem Kumpel Zamorra, wie er gedenkt, der Hexe beizukommen: Er
hat ein Porträt von Hannah Salem anfertigen lassen. Und wenn er in einer
Vollmondnacht das Bild zerstört, zerstört er damit auch die Hexe.
Blöd nur, dass erst morgen Vollmond ist. Und so geht das muntere
Gästemeucheln weiter, bis es Zamorra in der nächsten Nacht endlich
gelingt, das Porträt der Hexe zu erschießen.
Meinung:
Wieder einmal komme ich nicht umhin, Tenkrats schier grenzenlose
Kreativität zu bewundern. In PZ
142 rächt sich eine Mann dafür, dass er umgebracht wurde. In
PZ 143 wird ein Mann umgebracht,
wofür er sich rächt. Und mit diesem Meisterwerk zeitgenössischer
Literatur ist es doch tatsächlich eine Frau, die umgebracht wird und
sich dafür rächt. Da darf man ja richtig gespannt sein auf den
nächsten Band.
Die Vorgeschichte der bösen, bösen Hexe wird leider in
lächerlichen anderthalb Spalten abgehandelt. Man erfährt nichts
über sie. Wie hat sie die Dorfbewohner drangsaliert? Wie lange ist das
nun schon her? Wie kam es, dass sie mit den bösen Mächten paktierte?
Wenn sie so böse und mächtig war, warum hat sie sich so leicht
vernichten lassen? Und wenn es schon so leicht ging, warum haben
die Dorfbewohner nicht gleich Silbernägel mit Köpfen gemacht und
das schlimme Weib verbrannt, geköpft, oder was weiß ich? Warum
sind sie auf die fabulöse Idee verfallen, sie in einem Fass den Berg
hinunter rollen zu lassen? Wieder einmal wurde die Möglichkeit verpasst,
dem Bösewicht der Woche glaubhaft Tiefe zu verleihen. Der dadurch gewonnene
Raum wurde dafür genutzt, eine handlungsfreie Action-Szene an die
nächste zu reihen. Und weil die Hexe so unerträglich flach ist,
ist auch die Motivation ihrer Rache kein bisschen nachvollziehbar. Warum
rächt sie sich nicht an den Dorfbewohnern, die ihr so übel mitgespielt
haben? Warum wartet sie jahrelang, bis irgend ein wildfremder Kerl den Leuchtturm
kauft und ein paar Gäste einlädt, die mit dem Schicksal der Hexe
absolut nichts zu tun hatten? Warum wartet sie mit ihrer Rache ausgerechnet
so lange, bis Professor Zamorra anwesend ist? Kann es sein, dass Hannah Salem
nicht annähernd so böse ist, wie sie blöd ist?
Leider bleibt die Logik des Romans aber nicht nur bei den großen
Zusammenhängen auf der Strecke. Auch die Kleinigkeiten passen nicht
recht zusammen. Warum lädt der neue Turmbesitzer zur Einweihung auch
den Leichenbestatter ein, von dem nur kurz darauf erzählt wird, dass
er schon früher ein komischer Kauz gewesen sei und ihn eigentlich niemand
leiden kann? Würde ich auch jemanden einladen, den ich nicht leiden
kann? Na ja, wenn er einen grusligen Beruf hat, der mir die Gelegenheit gibt,
Leichenwagen und Särge in die Geschichte mit einzubauen, dann vielleicht
schon. Oder nehmen wir die Tatsache, dass der neue Haus- bzw. Turmherr ein
Porträt von Hannah Salem hat anfertigen lassen, um sie in der nächsten
Vollmondnacht endgültig zu besiegen. Ja warum um Gottes Willen schaufelt
sich dieses Wichtelhirn dann vorher noch die Bude voller Gäste? Warum
wartet er damit nicht, bis die Sache mit der Hexe ausgestanden ist? Streng
genommen gehen deshalb die vielen Toten nicht auf das Konto der Hexe, sondern
auf das Roy Krupas. Ich muss allerdings dennoch gestehen, dass die erste
Hälfte des Romans (als sich Hannah Salem noch darauf beschränkt,
die Gäste mit Psychoterror zu erfreuen) ansatzweise stimmungsvoll ist.
Das reicht aber keinesfalls aus, um mehr als ein Kreuz zu rechtfertigen.
1 von 5 möglichen Kreuzen:

Kommentare zum Cover:
Gefällt mir nicht wirklich. Die triefäugige Meerjungfrau soll wohl
Hexe Hannah sein. Hätte sie unter Wasser die Augen zugemacht, hätte
sie jetzt vielleicht nicht so rote Glubscher.
Coverbewertung:
Ein Zusatzhinweis zu dem Cover kommt von Michael Schick:
Das von Vicente Segrelles gemalte Titelbild wurde auch noch auf dem John
Sinclair Sammelband Nr. 1221 verwendet: