Mark Hellmann in der Presse


Die Welt  28. März 2001 (Geschrieben von Berthold Seewald)

Tolle Tage mit den Täufern

Glauben, Revolution und Kitsch: Münster stellt sein "Tausendjähriges Reich" aus


In Münster wird man im Zeichen eines doppelten Traumas geboren. Das eine ist der "feuchte Himmel", den schon der päpstliche Nuntius während der Friedensverhandlungen am Ende des Dreißigjährigen Krieges beklagte. Das andere sind die drei mannshohen Käfige, die vom Turm von St. Lamberti die Stadt mahnen und deren Anblick sich nicht einmal die Zecher entziehen können, die das Glück haben, ihr Einkommen bei Stuhlmacher am Prinzipalmarkt vertrinken zu dürfen. Denn in die Käfige haben die Münsteraner einst die fleischlichen Reste jener gezwängt, die ihnen die Revolution bringen wollten, die Wiedertäuferführer Jan van Leiden, Bernd Knipperdollinck und Bernd Krechtinck. Und von Zeit zu Zeit geistern ihre toten Augen wieder durch die Stadt des heiligen Luidger.

Doch nicht immer folgen die Augen dämonischem Antrieb. Nachdem 1998 ganz im Zeichen der 350-Jahr-Feiern des Westfälischen Friedens gestanden hatte, scheint man sich in Abstimmung mit dem Fremdenverkehrsverein jetzt wieder den düsteren Seiten der Stadtgeschichte zuzuwenden und hat im Stadtmuseum "Das Königreich der Täufer" ausgestellt. Dabei handelt es sich um eine Schau, die sich durchaus in den Dienst der Geisteraustreibung stellt, will sie doch mit den zahlreichen Mythen aufräumen, die sich immer noch um das "Tausendjährige Reich" ranken, das unter der Führung des Schneidergesellen Jan van Leiden 1534/35 immerhin für 17 Monate Bestand hatte. Es ist eine schöne Ausstellung geworden.

Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Johannes Rau erzählt sie von einer Zeit, in der die Menschen überzeugt davon waren, dass es für sie keine Zukunft gebe. Krieg, Hunger, Pest, Inflation und vor allem eine ins Amoralische entrückte Papst-Kirche ließen nur einen Schluss zu: Das Reich Christi stand vor der Tür. Und wie das zu solchen Zeiten immer ist, fanden sich Leute, die bereit waren, dem nachzuhelfen.

Die Wiedertäufer, wie ihre Feinde sie nannten, die in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts von den Niederlanden nach Westfalen gelangten, waren nur ein Zweig jener reformatorischen Bewegung, die in der Überzeugung lebte, dass erst der erwachsene, denkende Mensch im Stande sei, mit dem Sakrament der Taufe Zugang zum Tausendjährigen Reich Christi zu erlangen. Für Katholiken lag das auf einer Linie mit der protestantischen Ketzerei. Doch auch die Anhänger Luthers und Zwinglis distanzierten sich von der Radikalität der Täufer, die zudem in Erwartung des baldigen Weltendes merkwürdige sozialrevolutionäre Gedanken hegten. Seit dem Reichstag von Speyer 1529 wurden die Täufer im Reich mit dem Tode bedroht.

Ein schwacher Bischof und die siegreiche Reformation bewirkten, dass die Täufer um 1533/34 in der wohlhabenden Handelsstadt Münster Fuß fassen konnten. In Erwartung des jüngsten Gerichts warf man alles Katholische auf den Scheiterhaufen, proklamierte die Vielweiberei und verkündete das Tausendjährige Reich auf Erden. Ihm sollte es so ergehen wie einem späteren auf deutschem Boden. Ein neuer Bischof, Franz von Waldeck, rückte mit Truppen und Kanonen, die ihm zum Teil von protestantischen Fürsten geliehen worden waren, gegen die schwer befestigte Stadt. Zwar feierte ihr König Jan van Leiden in der Überzeugung, die ganze Welt sei ihm untertan, mit seinen 16 Frauen schöne Orgien. Doch im Juni 1534 waren selbst die Ratten aufgegessen, und die Stadttore öffneten sich durch Verrat. Der Rache der Sieger fielen nicht nur die Täufer, sondern die ganze Reformation zum Opfer. Münster wurde zu einer wohl genährten Beamtenstadt unter der Knute des Bischofs.
 
Diese Geschichte erzählt man im Stadtmuseum mit einer Fülle von Originalen, dem Goldenen Abschlag eines Talers etwa, den König Jan van Leiden prägen ließ, den originalen Protokollen der Verhöre, denen die Täuferführer im Kerker unterworfen oder den Zangen, mit dem sie schließlich in Stücke gerissen wurden.

Der Brückenschlag zu dem anderen Ereignis, in dem Münster ein Ort der Weltgeschichte war, unterbleibt. Dabei ist die Frage, wie der Konfessionenkampf in Deutschland verlaufen wäre, wenn das riesige westfälische Bistum protestantisch geblieben wäre, nicht ohne Spannung. Diese aber findet man in der Ausstellung in den letzten Räumen, die dem langen Nachwirken der Täuferherrschaft gewidmet sind.

Denn nach den staatstragenden Feiern von 1998 hat man jetzt die Unterirdischen ausgegraben. Ihnen begegnet zum Beispiel Dämonenjäger Mark Hellmann, Spezialist für Okkultes, als er an der Universität Münster einen Vortrag halten soll und plötzlich mit den blutlosen Leichen zweier Studentinnen konfrontiert wird. Denn die "Wiedertäufer-Vampire" des Blutdruiden Dracomar sorgen für Gruselspannung, zumindest in den schönen Groschenheften, die mittlerweile 2,50 Mark kosten und auch in Münster zu haben sind. "Die Handlung ist verwoben sowohl mit nachprüfbaren Angaben z. B. zu Straßennamen, Kneipen und Institutionen in Münster als auch mit Informationen zum münsterischen Täuferreich", weiß der Katalog. Da sage noch einer, Horror-Autoren würden nicht recherchieren.

Auch auf Zuckerbäcker üben die toten Augen von St. Lamberti eine gar absonderliche Wirkung aus. In der Konditorei Krimphove etwa wird eine Wiedertäufertorte gebacken. In der Säure von Apfel, der Süße der Pflaumen, dem hanseatischen Rum und den Kernen der Haselnuss nehmen van Leiden und seine Kumpane wieder kalorienmächtige Gestalt an. In der Fastnachts-Kumpanei der "Wiedertäufer am Buddenturm" gibt der viel beweibte König dem bierseligen westfälischen Karneval ein geradezu dämonisches Ambiente. Mit Wiedertäufer-Notgeld suchte die Stadt den Schrecken der Weimarer Inflation zu begegnen, mit Wiedertäufer-Schokolade wollte man sie versüßen. Und im Wiedertäufer-Schnaps hoffen Münsteraner noch immer, die Dämonen aus Vergangenheit und Gegenwart zu vergessen.

Wie eine lokale Episode Welthistorie geschrieben hat und damit die Geschichte des Kitschs maßgeblich bereichert hat: Seriöser als im Stadtmuseum Münster hat man es selten gesehen.