Entscheidung Nr. 2688 (V) vom 25.09.1986 bekanntgemacht im Bundesanzeiger Nr. 181 vom 30.09.1986


[...] Die Bundesprüfstelle für jugenddefährdende Schriften hat auf den am 08.08.1986 eingegangenen Indizierungsantrag im vereinfachten Verfahren gemäß Paragraph 15a am 25.09.1986 [...] einstimmig entschieden: Larry Brent - Die Schlangenköpfe des Dr. Gorgo Tonkassette [...] wird in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufgenommen. [...]


S a c h v e r h a l t



1.
Die Verfahrensbeteiligte zu 1. [Europa Miller International] vertreibt die Tonkassette "Die Schlangenköpfe des Dr. Gorgo" aus der Serie "Larry Brent" unter der Bestellnummer 5164095. Der Verfahrensbeteiligte zu 2. [Douglas Welbat] hat den Text zu dem Hörspiel verfaßt.

2.
Das Hörspiel hat im wesentlichen folgenden Inhalt: Dr. Gorgo, ein exzellenter Chirurg, war schon in jungen Jahren  mißgebildet. Er hatte einen  schlechten Charakter. Deshalb mochten einige Frauen mit ihm kein Verhältnis eingehen. Diesen Frauen hat er Rache geschworen, die er an   deren Töchtern vollstreckt. Er lockt die Kinder in sein Laboratorium, mißbraucht sie zu medizinischen Experimenten. Gehirne und Köpfe werden verpflanzt. Alle Mädchen finden den Tod. Dem letzten Opfer gelingt es allerdings noch, Dr. Gorgo zu erwürgen. Dies läßt Larry Brent, der das Laboratorium mittlerweile aufgespürt hat, ausdrücklich zu.

3.
Das Jugendamt der Stadt Frankfurt hat beantragt, die Hörspielkassette "Larry Brent - Die Schlangenköpfe des Dr. Gorgo" in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufzunehmen. In dem Indizierungsantrag weist das Stadtjugendamt darauf hin, daß in der Tonkassette die Töchter der von Dr. Gorgo zurückgewiesenen Frauen auf bestialische Art ermordet, bzw. zu wissenschaftlichen Experimenten mißbraucht würden. So werde das Gehirn des einen Mädchens einem Hund transplantiert, während dem anderen Mädchen den Kopf abgeschnitten werde. Dieser Kopf werde auf einen in Nährflüssigkeit schwimmenden krakenähnlichen Körper verpflanzt. Das Bassin mit dem Mädchenkopf sei so postiert, das es seinerseits zusehen könne, wie dieser Arzt ihren auf dem Operationstisch liegenden Körper mit einem Skalpell verstümmele.   Die im Spielverlauf beschriebenen Inhalte seien so grausam, brutal und menschenverachtend geschildert, daß von einer Jugendgefährdung ausgegangen werden müsse.

4.
Die Verfahrensbeteiligte zu 1. Hat sich gegen die Listenaufnahme im vereinfachten Verfahren gewandt. Sie führte aus, die Story der Tonkassette sei eine moderne aufbereitete Abwandlung des altbekannten Themas von der "Neuproduktion" eines Menschen durch "Zusammensetzen" von Körperteilen anderer bzw. der Kreuzung von Tier und Mensch. Die Behauptung des Antragstellers, die im   Spielverlauf beschriebenen Inhalte würden so grausam, brutal und menschenverachtend geschildert, daß von einer Jugendgefährung ausgegangen werden müsse, sei falsch. Die Ergebnisse des Handelns des Dr. Gorgo seien zwar furchtbar. Die Irrealität dessen Person und seines Erzielen von Gruseleffekten ausgerichteten Handelns blieben aber stets erkennbar, wie die Kassette sich auch jeder Detailwiedergabe von Brutalität und Grausamkeiten völlig enthalte. Von menschenverachtender Schilderung könne nicht gesprochen werden. Dagegen spräche auch, daß Dr. Gorgo das Opfer seiner eigenen Hybris werde. Er gehe an sich selbst zu Grunde. Im Gegensatz zu der Behauptung der Antragstellerin habe die Antragsgegnerin eine Fülle jugendschutzwirksamer Maßnahmen getroffen. Die Tonkassette sei in einer Auflage von 30.000 Exemplaren verkauft worden. Die Verfahrensbeteiligte zu 1. Hat beantragt, über den Indizierungsantrag in dem Prüfgremium in der Besetzung nach Paragraph 9 Abs. 3 GjS zu entscheiden.

5.
Der Verfahrensbeteiligte zu 2. Tritt der Listenaufnahme entgegen. Er hält die Tonkassette nicht für jugendgefährdend. Er beantragt sinngemäß, den Indizierungsantrag abzulehnen.

6.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prüfakte und auf den der Tonkassette, die Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen. Die Mitglieder des Prüfgremiums haben die Tonkassette bei normaler Laufgeschwindigkeit in voller Länge gehört. Die Beisitzer sind mit der Entscheidung in der vorliegenden Fassung einverstanden.

7.
Die Tonkassette "Larry Brent - Die Schlangenköpfe des Dr. Gorgo" war in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufzunehmen. Der Inhalt der Tonkassette ist offenbar (Paragraph 15a GjS) geeignet, Kinder und Jugendliche "sozialethisch zu desorientieren" wie der Begriff "sittlich zu gefährden" in Paragraph 1 Abs. 1 Satz 1 GjS auszulegen ist. Für jeden Hörer wird klar und zweifelsfrei einsichtig, daß die Tonkassette verrohend i. S. v. Paragraph 1 Abs. 1 Satz 2 GjS wirkt und Selbstjustiz bejaht. Die Tonkassette wirkt zweifelsfrei verrohend, weil sie bei dem Zuhörer Aggressionen aufbaut und ihn im Zustand angespannter, latenter Aggressivität hält. Dies erreicht die Tonkassette, indem sie den jeweiligen Zuhörer mit grausamen Gewaltakten konfrontiert. Verletzungshandlungen, die Auswirkungen von Verstümmelungen bzw. "Operationen" sowie das Leid der Angehörigen der Opfer werden detailliert inszeniert. In der Nähe von London werden Leichen von jugen Frauen gefunden; diese sind - so der Inhalt des Tonbandes - zerstümmelt und die Köpfe fehlen. Eine Mutter muß die Leiche ihrer Tochter identifizieren; dieser ist ebenfalls das Haupt abgeschnitten worden. Vor Verzweiflung heult die Mutter erbärmlich. Der Täter Dr. Gorgo "operiert" einem anderen Mädchen den Kopf ab. Als dieses aus der Operation aufwacht, sitzt deren Kopf auf einem Wesen mit acht langen Tentakeln; sie kann dessen Gliedmaßen bewegen. Das Tentakeltier sitzt in einer braunen, ekligen Flüssigkeit. Der Körper des Mädchens liegt währenddessen auf dem Operationstisch in der Nähe des Aquariums. Das Kind muß mit zusehen, wie von ihrem Korpus eine Hand abgeschnitten wird. Die Mutter des verstümmelten Mädchens ist Schauspielerin im Theater. Während einer Theatervorstellung wird ihr ein Paket mit der abgeschnittenen Hand der Tochter überreicht. Die Mutter schreit - für den Zuhörer gut wahrnehmbar - auf und läuft von der Bühne. Einem anderen Mädchen entnimmt Dr. Gorgo in seinem Laboratorium das Gehirn. Er verpflanzt dieses in einen Collie. Freigelassen, führt dieses Tier Larry Brent zu dem Operationsraum. Hier rennt er immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand; Blut und Eiter spritzen. Schließlich zerplatzt der Hundekopf. Der Indizierungsantrag ist auch deshalb begründet, weil das Hörspiel Selbstjustiz bejaht. Der Gesetzeshüter Larry Brent Brent läßt es zu, daß eines der Mädchen, deren Kopf auf ein Tentakelwesen verpflanzt wurde, den Operateur Dr. Gorgo umbringt. Er billigt ausdrücklich dessen Ermordung. Er schreitet nicht ein und verhindert das Erwürgen, er heißt diesen weiteren Mord ausdrücklich gut. Obwohl er als Gesetzeshüter über das Einhalten von Rechtsvorschriften, insbesondere des Strafverfahrens, einzutreten hat, billigt er das Umbringen des Täters. Er läßt Selbstjustiz und persönliche Rache zu. Diese Art der Darstellung ist geeignet, Kinder und Jugendliche glauben zu machen, in gewissen Situationen könne man das Recht selbst in die Hand nehmen und zu dessen sofortigem Vollstrecker werden. Bei dem Maß der Jugendgefährdung war vom Prüfgremium zu berücksichtigen, daß sich Hörspielkassetten der vorliegenden Art an Kinder richten. Die Zielgruppe der Tonkassette ist daher ein Publikum, bei dem in erhöhtem Maße die Gefahr einer sozialethischen Desorientierung besteht. Daher ist auch zu erwarten, daß das sehr junge Publikum den irrealen Charakter der Story nicht erkennen bzw. umsetzen und verarbeiten kann.

8.
Ausnahmetatbestände i. S. v. Paragraph 1 Abs. 2 GjS kamen nicht in Betracht. Dafür ist nicht vorgetragen worden. Darüber hinaus war auch kein Anhaltepunkt erkennbar, der auf das Vorliegen eines der Ausnahmebestände schließen ließe.

9.
Ein Fall geringer Bedeutung schied wegen dem hohen Verbreitungsgrad der Tonkassetten, die bereits in einer Stückzahl von 30.000 verkauft sind, aus.