Jaqueline Berger - Pfad des Blutes Zyklus Nr. 4: Die Fürstin der Vampire
Jaqueline Berger - Pfad des Blutes Zyklus Nr. 4: Die Fürstin der Vampire


Coldwind Castle – 04.02.2004/18:00 Uhr
Die Zeremonie, die feierliche Inthronisation der neuen Herrin des Ordens, war auf meine Bitte hin bis auf weiteres verschoben worden. Wäre es nach mir gegangen, hätte man auf diesen Zauber ohnehin verzichten können. Es ging mir nicht darum, wie ein König in eine Kathedrale einzuziehen, mich niederzuknien und von jemandem eine Krone zu erhalten. So wenig, wie mir daran gelegen war, mir diese selbst aufzusetzen – wie es Napoleon Bonaparte einst getan hatte. Meinetwegen hätte Francine ein Rundschreiben verfassen können: „Jaqueline Berger führt ab nun den Orden, ich bin ihre Stellvertreterin. Macht, was sie sagt!“ Das hätte vollauf genügt. Mir zumindest, doch nach mir ging es nicht. Francine wollte Pomp. Sie wollte den großen Zirkus und Glamour. Nicht nur die Vampire vor Ort sollten mir ihre Ergebenheit demonstrieren, sondern auch geladene Gäste aus aller Welt. Es war ihrer Aussage nach das eine, einen Rat abzulehnen, oder aber eine Anführerin. Viele Blutsauger scherten sich einen Dreck um das, was in Wien besprochen wurde. So, wie sich viele Vampire einen Dreck um den Dunklen Orden des Blutes scherten. Einem Großvampir die Gefolgschaft zu verweigern, war jedoch ein anderes Thema. Laut Francine würde der Orden, sobald ich die Regentschaft angetreten hatte, den Hohen Rat obsolet machen. Es konnte keine Regentschaft einer normalen Vampirin geben, wenn ein Großvampir herrschte. Vor allem aber durfte kein Rat neben dem Orden existieren. Es hätte zu ständigen Machtkämpfen geführt, zu Reibereien und zu zwei Parteien. Eine Spaltung der Vampire, stärker, als es nun der Fall war. Die Möglichkeiten, dem zu begegnen, waren nicht gerade weit gestreut. Selbst wenn ich kraft meines Amtes oder meiner Macht oder meiner Art den Hohen Rat auflöste, würden Unzufriedene bleiben und sich gegen mich verschwören. Löste ich den Rat nicht auf, intrigierte er ohnehin gegen mich. Die Idee von Francine war es, Annabella Ricewind eine Einladung zukommen zu lassen, damit sie an meiner Inthronisation teilnehmen konnte. Die vordergründig nette Geste hatte natürlich den eigentlichen Zweck, ihr einen Schlag zu versetzen. Doch dieses Vorgehen war meiner Meinung nach kontraproduktiv. Annabella hätte ihre Getreuen gesammelt und neue finstere Pläne ausgeheckt. Sie regierte schon lange, hatte ihre Seilschaften und ihren Rückhalt. Letztlich gab es zwei Möglichkeiten. Entweder traf sie sich mit mir zu einem Gespräch und wir regelten die Dinge im Vorfeld. Oder sie starb. Sie für ein Vorabgespräch nach Coldwind Castle einzuladen, hielt nicht nur ich für keine sehr gute Idee, sondern auch Francine schien davon nicht sonderlich angetan zu sein. Dies war die Zentrale des Dunklen Ordens. Annabella konnte sie bei der Feier betreten. Denn in diesem Moment ging die Macht zurück an jene, die sie einst besessen hatten. Erschien sie hier, gab sie ihre Macht auf. „Du weißt hoffentlich, dass du dich in Gefahr begibst“, sagte Francine, während sie mich nahezu beschwörend musterte. „Nach Wien zu reisen und dort in das Gebäude des Hohen Rates zu marschieren ist ein Risiko. Sie könnte auf die Idee kommen, dich ausschalten zu lassen. Es gibt genügend Vampire, die auf einen Wink von ihr ihre Existenz hingeben und sich auf dich stürzen. Du magst eine Großvampirin sein. Aber unbesiegbar hat das keinen deiner Vorgänger gemacht.“ „Ja, diese Gefahr besteht vielleicht“, sinnierte ich. „Andererseits erscheint es mir vernünftig, zu ihr zu gehen. Von Vampirin zu Vampirin.“ Francine griff nach meinem Arm. „Lass mich dich begleiten. Oder nimm einen anderen Leibwächter mit. Er wird dich beschützen. Du bist die Großvampirin. Du kannst frei wählen, wer an deiner Seite stehen soll.“ Leise lachend wandte ich mich ab. „Um mich habe ich schon lange keine Angst mehr. Es sind immer die anderen um mich herum, die sterben. Das war schon früher so, als ich noch als Schatzjägerin mein Geld verdiente. Meine Freunde starben oder wurden schwer verletzt. Doch ich kam mit wenigen Blessuren davon. Dort mit Leibwächtern aufzukreuzen würde bedeuten, dass ich mich vor ihr fürchte und ihr nicht traue. Das tue ich zwar nicht, aber man muss es ja nicht allzu offen zeigen.“ „Es gab in der Geschichte viele Menschen, die ihr Vertrauen beweisen mussten“, warf sie ein. „Als Philipp der Zweite von Makedonien ungeschützt vor sein Volk trat, um zu zeigen, wie sicher er sich fühlte, da wurde er von einem Leibwächter überfallen und niedergestochen.“ „Ja. Wobei bis heute aber nicht geklärt ist, ob es sich um die Tat eines Einzelnen handelte oder ob Verschwörung im Spiel war. Und – sein Tod war der Beginn einer unvergleichlichen Erfolgsstory seines Sohnes Alexander.“ Mein Blick traf den ihren. „Mach dir keine Sorgen um mich. Annabella wird erkennen, dass sie kaum eine Wahl hat. Entweder arrangiert sie sich mit mir oder sie stirbt. Sollte es notwendig sein, werde ich ihr den Kopf vom Rumpf schlagen. Aber noch hoffe ich, dass dies nicht geschehen wird.“ Damit griff ich nach meiner Reisetasche und ging zum Ausgang. Auf dem Weg hinaus blieb ich noch einmal stehen. „Lasst die kleine Elena dürsten. Erst wenn sie glaubt, den Verstand zu verlieren, schickt ein Opfer zu ihr hinein. Sie soll sich danach sehnen, ihre Hauer in den Hals eines Menschen zu schlagen. Sie soll sich wünschen, endlich töten zu dürfen.“ Damit verließ ich die Burg und ging zu dem Wagen, der bereits mit laufendem Motor auf mich wartete. Akira saß hinter dem Steuer und schaute mir entgegen. „Bereit, in die Höhle des Löwen zu ziehen?“ Sie trug nicht ihr schwarzes Seidengewand und auch nicht den Rubin um den Hals. Ihre Kleidung war jene, die ich von ihr kannte, wenn sie als Jägerin agierte. „Ja. Aber du nicht. Ich sagte Francine, dass ich keine Leibwächter brauche. Wenn du also meinst, dass wir gemeinsam nach Wien fliegen, dann ...“ „In diesem Fall geht es nicht um dich, Jaqueline. Alle zwei Monate findet ein Treffen der Jäger in Wien statt. Nun, ich bin eine Jägerin und muss dort erscheinen. Es wäre seltsam, würde ich nicht dort hinkommen. Aber du kannst dich darauf verlassen, dass ich dir im Ernstfall beistehen werde. Das heißt, die zwei stärksten Jägerinnen stehen hinter dir, wenn du dich mit Annabella triffst.“ „Hoffen wir, dass dies nicht nötig sein wird. Aber eines ist gewiss – ich kann es kaum erwarten, Diana-Marie zu treffen. Wir waren viel zu lange getrennt.“ Akira lächelte schmal. „War Francine kein ... Ersatz?“ „Nein. Francine ist anders als Diana-Marie. Auch wenn sie sich mir angeboten hat, so geschah es doch aus anderen Gründen.“ „Das brauchst du mir nicht zu sagen“, erklärte die Japanerin, während sie den Wagen vom Burghof rollen ließ. „Ich kenne die Gesetze, die unser Zusammenleben regeln, vielleicht besser als du. Schließlich dauert meine Existenz länger an und ich habe erlebt, wie sich manches fand. Sie hat sich dir angeboten, damit du sie annimmst. Wäre ich an ihrer Stelle gewesen, hätte ich es nicht anders machen können.“ Sie blinzelte in meine Richtung. „Ich könnte es noch immer tun. Würdest du mich annehmen, wie du sie angenommen hast, könnte ich sie herausfordern und versuchen, in einem Kampf zu töten.“ „Ich würde dich aber nicht annehmen. Das liegt nicht in deiner Person begründet, sondern darin, dass wir genug Aufruhr verursachen werden. Darum sollten wir an nichts rühren, was auch den Orden in zusätzliche Aufregung versetzen könnte.“ Akira erwiderte nichts. Sie nickte lediglich unmerklich, während sie konzentriert auf die Straße schaute. Die Scheinwerfer des Wagens stachen wie Finger in die Dunkelheit und rissen den grauen, nassen Asphalt für einen Moment in eine grelle Helligkeit. Es hatte den ganzen Tag über geregnet und auch jetzt fiel leichter Niederschlag. Die Freude über das Wiedersehen mit Diana-Marie wurde durch das Treffen mit Annabella getrübt. Sie würde ihren Sitz nicht kampflos aufgeben. Doch solange sie nicht zur Gewalt griff, wollte ich es auch nicht tun. Trotz meines Hasses auf diese Frau musste es einen anderen Weg geben. In der Vergangenheit war genug Blut vergossen worden. Es reichte.


eBook von G. Arentzen, erschienen im Juni 2007, Titelbild: Meike Förster